Wie kann man ein dysreguliertes Nervensystem regulieren?

Illustration zweier Szenen: links eine ängstliche Frau, umgeben von negativen Emotionen und missgünstigen Gesichtern, die das dysregulierte Nervensystem darstellt, rechts die gleiche Frau, entspannt und glücklich unter einer strahlenden Sonne und positiver Umgebung, die die Regulation des Nervensystems symbolisiert.

Table of Contents

Im ersten Teil haben wir gelernt, was ein dysreguliertes Nervensystem ist, wie es entsteht und welche Symptome es zeigt. Es wurde ausführlich erklärt, wieso eine klassische Gesprächstherapie meist keine nachhaltige Veränderung im Leben bringt. Jetzt geht es um die praktische Anwendung, wie wir vom Kopf in den Körper zu kommen.

Die Heilung* eines dysregulierten Nervensystems ist kein Sprint, sondern ein Prozess. Es ist kein „Quick Fix“ und keine Technik, die wir einmal ausprobieren und dann für immer geheilt sind. Vielmehr geht es darum, unserem Körper Stück für Stück beizubringen, dass er wieder Sicherheit empfinden darf.  

Es geht darum, unsere Imperfektion zu akzeptieren, denn wir sind schließlich Menschen und keine Maschinen.

Unsere Fehler und unsere Emotionen machen uns gerade menschlich

Wir beginnen am besten mit den Grundlagen und tauchen dann tiefer ein.

Schritt 1: Lifestyle & Basis

1. Die Morgenroutine

Wenn wir direkt nach dem Aufwachen zum Handy greifen, überfluten wir unser Nervensystem sofort mit Reizen. Nachrichten, Social Media, E-Mails katapultieren uns direkt in Stress, noch bevor wir überhaupt richtig im Tag angekommen sind. Viel hilfreicher ist es, zuerst nach draußen zu gehen und Sonnenlicht zu tanken (ja auch wenn keine Sonne scheint). Schon 15 Minuten in der ersten Stunde nach dem Aufwachen stabilisieren unseren Cortisolspiegel und unsere innere Uhr. Das Handy am besten erst nach einer Stunde in die Hand nehmen. So können wir regulierter und ruhiger in den Tag starten.

2. Ernährung

Intervallfasten und Kaffee statt Frühstück waren jahrelang mein Alltag und es war das Schlimmste, was ich meinem Nervensystem antun konnte. Kaffee auf nüchternen Magen schießt den Cortisolspiegel in die Höhe, bringt den Blutzucker ins Wanken und hält den Körper in einem Dauerstress, den wir oft gar nicht bewusst spüren. Was dem Nervensystem wirklich hilft, sind regelmäßige Mahlzeiten, am besten in der richtigen Reihenfolge und den richtigen Makronährstoffen. Erst Proteine und gesunde Fette, dann Kohlenhydrate. Dazu viele Ballaststoffe, die das Mikrobiom stärken und damit auch den Vagusnerv beruhigen (unsere psychische Gesundheit hängt nämlich stark mit unserer Darmgesundheit zusammen). So bekommt unser Körper die Stabilität, die er braucht. Zucker, Koffein und Alkohol dagegen bringen alles noch mehr aus der Balance.

3. Schlafhygiene

Am Abend ist es wichtig, unser Nervensystem langsam zur Ruhe zu bringen. Bildschirmzeit kurz vor dem Schlafengehen hält uns künstlich im Wachzustand, weil das blaue Licht die Melatoninproduktion blockiert und Cortisol anregt. Scrollen kurz vor dem Schlafen gehen ist definitiv nicht förderlich, da es unser Gehirn mit Reizen, Bildern und Informationen überflutet und unser Nervensystem in einem “Stressmodus” gefangen hält. Ich weiß, es ist hart. Wenn du ein iPhone hast, empfehle ich die Funktion “Night Shift, die den Bildschirm automatisch in ein wärmeres, gelbliches Licht taucht. Noch besser ist es, das Farbprofil komplett auf Rot zu stellen, das ähnlich wie ein Sonnenuntergang, die Melatoninproduktion anregen kann. Zusätzlich helfen feste Schlafenszeiten, weil sie dem Körper Struktur und Sicherheit geben.

4. Erdung

Erdung bedeutet im Grunde wieder in Kontakt mit uns selbst und dem Hier und Jetzt zu kommen. Wenn wir nicht geerdet sind, sind wir wie „abgehoben“, hängen in unserem Kopf, denken ununterbrochen nach (Overthinking), sind innerlich weg und meistens abgeschnitten von unserem Körper. Wir spüren die einfache Dinge wie Hunger, Müdigkeit, unsere eigenen Gefühle nicht. In unserer modernen Welt, in der wir ständig an Bildschirme gebunden sind, fehlt uns oft diese Verbindung. Barfuß über Sand oder Gras laufen, die Füße spüren, am Wasser entlanggehen oder einfach tief draußen durchatmen oder uns zumindest auf den Boden zu legen, sind kleine Dinge, die uns helfen uns besser mit uns selbst zu verbinden.

Raus aus dem Kopf, rein in den Körper. 

5. Social Media

Social Media überflutet uns mit Informationen, Bildern und Emotionen im Sekundentakt. Unser Nervensystem ist dafür eigentlich gar nicht gemacht. Früher haben wir Informationen in kleinen Dosen bekommen, heute scrollen wir in wenigen Minuten durch tausend Eindrücke. Jeder Like, jede Nachricht, jedes Video schüttet einen kleinen Schub Dopamin aus, der uns innerlich in einer Daueranspannung hält. Das macht uns unruhig, reizbar oder sogar erschöpft, ohne dass wir es überhaupt merken. Deshalb kann es unglaublich entlastend sein, Social Media bewusst einzuschränken oder eine Pause einzulegen, damit unser Nervensystem wieder Raum hat, wirklich runterzufahren. Am besten die Apps direkt vom Handy löschen oder ein Zeitlimit fürs Scrollen festlegen. iPhones haben zum Beispiel eine eingebaute Funktion, die Apps nach Ablauf der Zeit automatisch stoppen. Allerdings kann man das verlängern und seien wir uns mal ehrlich, diese Apps sind so gut konzipiert, dass sie uns so süchtig machen und wir jegliche Selbstkontrolle verlieren können. Versuche es mit einem kleinen Selbstexperiment. Verzichte eine Woche lang auf Social Media und nimm wahr, ob du einen Unterschied in deiner Stimmung und deinem Schlaf bemerkst. Denn wenn wir spürbare positive Effekte spüren, ist es für uns einfacher, uns an sie zu halten. 

6. Externe Sicherheit schaffen

Wenn wir uns in unserem Umfeld nicht sicher fühlen, bringen keine Techniken und Übungen der Welt nachhaltige Heilung. Unser Nervensystem reagiert immer zuerst auf unmittelbare Gefahr, egal, ob sie real oder nur unterschwellig ist. Deshalb ist es so wichtig, zunächst äußere Sicherheit herzustellen. Das kann bedeuten, eine ungesunde Beziehung zu verlassen, einen belastenden Job zu wechseln oder sich ein Zuhause zu schaffen, in dem wir uns wirklich sicher fühlen und zur Ruhe kommen können. Ich kann beispielweise nicht im Erdgeschoss leben und das habe ich jahrelang, bis ich realisiert habe, wie unsicher es mich fühlen lässt. Erst wenn wir uns in unserem Umfeld sicher fühlen, hat unser Nervensystem überhaupt die Chance, nach innen zu gehen. Erst dann können all die inneren Übungen, Atemtechniken oder Körperarbeit wirklich wirken, weil unser System nicht mehr ständig mit dem Gefühl beschäftigt ist, überleben zu müssen.

7. Gesunde Routinen

Unser Nervensystem liebt Vorhersagbarkeit. Wenn wir jeden Tag im völligen Chaos leben, nie wissen, wann wir essen, schlafen, arbeiten, was auf uns zukommt, fühlt sich unser Körper ständig in Alarmbereitschaft, weil er nie weiß, was als Nächstes kommt. Routinen geben uns dagegen ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Das können kleine Dinge sein, wie jeden Morgen zur gleichen Zeit aufzustehen, Mahlzeiten regelmäßig einzunehmen oder sich abends ein Ritual zu schaffen, das signalisiert: jetzt ist Zeit zum Runterfahren. Es geht nicht darum, das ganze Leben streng durchzuplanen, sondern ein paar feste Anker zu haben, die unserem Körper Halt geben. Diese kleinen Rituale wirken wie ein sicherer Rahmen, in dem unser Nervensystem lernen kann, sich zu entspannen.

Schritt 2: Atem & Achtsamkeit

Der Atem ist wie eine Fernbedienung für unser Nervensystem. Viele von uns atmen flach, schnell und hoch in die Brust, ohne es zu merken und genau das hält uns im Stressmodus gefangen. Wenn wir stattdessen bewusst langsamer atmen, den Bauch beim Einatmen anheben und das Ausatmen etwas länger fließen lassen, aktivieren wir den Vagusnerv. Dieser Nerv ist der Hauptschalter für Entspannung. Mit jedem langen, ruhigen Ausatmen signalisieren wir unserem Körper:

„Es ist sicher. Du kannst loslassen.“

Atemtechniken wie Breathwork, Box Breathing, Wim Hof Atmung oder die 4-7-8-Atmung wirken deshalb so stark, weil sie direkt den Vagusnerv stimulieren und uns aus der Übererregung holen. Es ist nämlich unmöglich, sich voll auf die eigene Atmung zu konzentrieren und sich gleichzeitig in echter Gefahr zu fühlen. Genau deshalb wird bewusstes Atmen so häufig bei Anxiety eingesetzt. Schon wenige Minuten können reichen, um Angstwellen abzuflachen, aus dem Kopf zurück in den Körper zu kommen und mehr Ruhe zu spüren. Aber Achtung, bei manchen Menschen kann es das Gegenteil bewirken. 

Auch Summen, Singen oder Gurgeln wirken, weil die Vibrationen im Hals den Vagusnerv direkt stimulieren. Bei mir reicht oft schon ein einfaches „mmmm“ und nach nicht mal einer Minute merke ich, wie beruhigend es auf meinen Körper wirkt. Jeder muss da sein eigenes Ding finden. Manche schwören auf „Ohm“, andere auf “Wuuu”,„Aaaah“, „Ooooh“, „Uuuuh“ oder sogar ein gerolltes „Rrrr“. Wichtig ist nicht, wie es klingt, sondern dass die Vibration deinen Körper erreicht und für mehr Ruhe sorgt.

Achtsamkeit bedeutet nicht nur, sich stundenlang hinzusetzen und zu meditieren. Es geht darum, den Autopiloten zu unterbrechen. Wenn wir ständig im Kopf sind und Dinge mechanisch erledigen, bleibt unser Nervensystem im gewohnten Stressmodus. Wir können das üben, indem wir uns beispielsweise beim Duschen bewusst einseifen, beim Essen ohne Ablenkung auf Geschmack und Geruch achten. Einfach, bei jeder Tätigkeit, die wir automatisch, ohne Nachdenken durchführen, kurz innehalten und ihr unsere Aufmerksamkeit schenken. Solche Mikro-Momente holen uns vom Kopf, ins Hier und Jetzt zurück und vermitteln dem Körper “ich bin jetzt sicher”

Schritt 3: Bewusstes Fühlen

In der Kindheit waren Gefühle für uns zu überwältigend oder zu gefährlich: zu viel Angst, zu viel Wut, zu viel Trauer, zu viel Schmerz, also haben wir uns von unserem Körper abgespalten. Das hat uns damals geschützt, aber heute hält es uns in einem Überlebensmodus gefangen. Über die Jahre haben viele von uns gelernt, zu „ungesundenÜberlebensstrategien wie Workholismus, Alkohol, Drogen, Sex oder anderen Ablenkungen zu greifen, um von unseren Gefühlen wegzulaufen und sie nicht wirklich spüren zu müssen.

Viele von uns haben verlernt, ihren Körper wirklich zu spüren. Deshalb sind Übungen wie Bodyscan, Eigenmassage oder geführte Meditationen so wertvoll. 

Bei einem Bodyscan wandert die Aufmerksamkeit langsam durch den Körper,  von den Füßen bis zum Kopf und wir nehmen einfach wahr, was da ist- Wärme, Kälte, Druck, Kribbeln. Es geht nicht darum, etwas zu ändern, sondern nur darum, wieder in Kontakt zu kommen.

Bei einer Eigenmassage können wir mit den Händen über Arme, Schultern oder Brust streichen, mit uns selbst in Kontakt kommen und uns so selbst beruhigen. Das klingt simpel, aber der Körper bekommt dadurch ein klares Signal von Sicherheit

Geführte Meditationen können uns helfen, in diesem Prozess nicht alleine zu sein, sondern sanft angeleitet zu werden, entweder um tiefer in uns hineinzuspüren, innere Themen aufzuarbeiten oder einfach, um wieder eine Verbindung zum Körper herzustellen.

Heilung heißt nicht, sofort die volle Wucht der Trauer oder Wut zuzulassen, sondern in kleinen Dosen zu üben. Peter Levine nennt das Titration – wie in der Chemie wird etwas Tropfen für Tropfen hinzugefügt, bis der Körper es sicher verarbeiten kann. Vielleicht spüren wir zuerst nur ein leichtes Kribbeln in den Händen oder einen Druck in der Brust. Wenn wir einen Moment damit bleiben, wächst nach und nach die Kapazität unseres Nervensystems, Gefühle zu halten, ohne davon überflutet zu werden.

All diese Techniken haben ein gemeinsames Ziel: sie holen uns aus dem Kopf zurück in den Körper und geben dem Nervensystem die Erfahrung, dass wir unsere Empfindungen aushalten können, ohne überflutet zu werden. Genau so wächst Schritt für Schritt innere Stabilität und so können wir auf gesunder Weise lernen, unsere Emotionen zu regulieren.

Schritt 4: Körperarbeit

Jede traumatische Erfahrung, besser gesagt jede Emotion, sei es aufgrund eines Missbrauchs, Vernachlässigung oder eines verletzenden Satzes, der sich tief in unserem Gedächtnis eingebrannt hat, wird in unserem Körper gespeichert

Peter Levine, der Somatic Experiencing entwickelt hat, beschreibt, dass wir in überwältigenden Situationen oft nicht kämpfen oder fliehen konnten. Anders als Tiere, bei denen dieser Instinkt angeboren ist. Bei uns Menschen ist er zwar ebenfalls angeboren, doch durch gesellschaftliche Konditionierung dürfen wir nicht immer so handeln, wie wir es gerne würden und als Kinder waren wir ohnehin oft nicht einmal in der Lage dazu. 

Diese unvollendete Energie bleibt in unserem Körper „stecken“.

Heute können wir lernen, diese eingefrorene Energie in kleinen Schritten wieder wahrzunehmen und sicher loszulassen.

Mithilfe unserer Vorstellungskraft können wir uns zu dieser bestimmten belastenden Erinnerung zurückversetzen. Diesmal lassen wir es nicht nur über uns „ergehen“, jetzt dürfen wir handeln. Wir können uns vorstellen, zurückzureden, den Täter zu schlagen, wegzulaufen und schließlich in Sicherheit zu kommen oder uns vorstellen, dass jemand uns aus dieser Situation rettet. Unser Nervensystem kann nämlich zwischen Realität und Vorstellung nicht unterscheiden und so können wir unsere Erfahrungen „neu“ schreiben. Besonders kraftvoll wird es, wenn wir tatsächlich unseren Körper einbeziehen. Wir können wirklich durch die Wohnung rennen, als würden wir fliehen, mit den Füßen stampfen, schreien oder in Kissen schlagen – was auch immer sich in dem Moment am besten anfühlt. All das gibt unserem Körper den Ausdruck, den er damals gebraucht hätte.

Auch andere körperorientierte Methoden funktionieren nach ähnlichen Prinzipien. TRE (Trauma Releasing Exercises) kann dem Körper, durch gezieltes Zittern, helfen, diese alten Spannungen freizusetzen. Wir können uns aber auch ganz frei bewegen, indem wir tanzen, boxen, springen, uns auf die Brust schlagen, schreien, weinen. Entscheidend ist, dass wir die Energie bewusst spüren und transformieren, anstatt sie zu unterdrücken

Heilung beginnt im Körper, reden ist nicht genug.

Durch kleine, bewusste Schritte lernt das Nervensystem, dass die Gefahr vorbei ist und wir heute sicher sind. Mit gezielter Körperarbeit und Visualisierungen können wir unsere „Festplatteumprogrammieren und unsere Vergangenheitneu schreiben„.

Schritt 5: Co-Regulation

Menschen sind soziale Wesen. Evolutionstechnisch hat das Leben in Gruppen unser Überleben gesichert. Unser Nervensystem trägt diese Programmierung noch heute in sich. Nähe, Vertrauen und Berührung geben uns das Gefühl, dass wir in Sicherheit sind. 

Allerdings hat nicht jeder das Glück, Freunde und Familie zu haben, bei denen wir uns sicher fühlen können. Insbesondere in der heutigen Zeit, die uns voneinander immer mehr isoliert und viele Menschen sich lieber vor ihren Bildschirmen verstecken, als mit echten Menschen ihre Zeit zu verbringen. Je isolierter wir leben, desto dysregulierter unser Nervensystem. 

Diese Lücke können wir bewusst füllen, indem wir statt Online-Shopping einfach in die Stadt gehen und ein Lächeln von einer fremden Person erwidert bekommen, indem wir freiwillige Arbeit leisten, uns in Vereinen oder Kursen engagieren, Zeit mit Tieren verbringen oder Menschen in Cafés, Parks oder bei lokalen Projekten bewusst begegnen.

Co-Regulation ist eines der mächtigsten Werkzeuge. Wer seine Sicherheit allerdings nur in anderen sucht, läuft Gefahr, abhängig zu werden. Deshalb ist es wichtig, zuerst Stabilität in sich selbst zu entwickeln, damit wir nicht in Co-Abhängigkeiten geraten.

Schritt 6: Erweiterte Methoden

EMDR

Wenn wir Trauma erlebt haben, bleibt unser Nervensystem oft „stecken“. Es reagiert, als wäre die Gefahr immer noch da. EMDR hilft, diese eingefrorenen Erinnerungen im Gehirn neu zu verarbeiten. Bei EMDR werden beide Gehirnhälften durch Augenbewegungen oder Klopfreize aktiviert. Das gibt dem Nervensystem die Möglichkeit, die Erinnerung neu abzuspeichern. Nicht mehr als akute Bedrohung, sondern als etwas, das vorbei ist. Dadurch hört der Körper auf, ständig in Alarmbereitschaft zu gehen.

Neurofeedback

Beim Neurofeedback bekommst du dein eigenes Gehirn in Echtzeit auf einem Bildschirm gespiegelt. Das heißt: Elektroden messen deine Gehirnwellen (Delta, Theta, Alpha, Beta) und du siehst visuell oder akustisch, in welchem Zustand du dich gerade befindest.

Wenn wir im dysregulierten Nervensystem stecken, hängen wir meist im Stressmodus (Beta) oder in Erstarrung (zu viel Theta/Delta im falschen Moment) fest. Für mich war Neurofeedback DAS TOOL, das mir gezeigt hat, dass ich absolut nicht mit meinem Körper verbunden bin und mir geholfen hat, das zu ändern. Bis dahin war es für mich so ein abstracker Begriff und ich hatte absolut keine Ahnung, was es bedeuten soll- sich mit dem Körper zu verbinden, wtf. Wenn wir unser Leben lang nichts anderes, als den Survival Mode kennen, fühlt es sich für uns normal und natürlich an. Durch Neurofeedback können wir lernen, wie sich ein wirklich entspannter Zustand anfühlt und wie wir da hinkommen. Neurofeedback ist wie ein Muskeltraining für das Nervensystem, nur dass hier kein Bizeps trainiert wird, sondern unser Gehirn. Mit der Zeit lernen wir, uns selbst zu regulieren, statt im Überlebensmodus hängen zu bleiben.

Frequenzen & Zustände
Unser Gehirn arbeitet in unterschiedlichen Wellenbereichen, die unseren Zustand bestimmen:

  • Beta (13–30 Hz): Wach, fokussiert, aber auch Stress und Grübeln.
  • Alpha (8–12 Hz): Entspannt, präsent, der „Flow“-Zustand.
  • Theta (4–7 Hz): Traumzustand, tiefe Entspannung, Zugang zu Gefühlen.
  • Delta (0,5–4 Hz): Tiefer Schlaf, Regeneration.

Ein dysreguliertes Nervensystem hängt oft im falschen Bereich fest – zu viel Beta (Hypervigilanz, Anxiety) oder zu viel Delta im Alltag (Antriebslosigkeit, Depression). Ziel ist es, flexibler zu werden und zwischen den Zuständen wechseln zu können, statt stecken zu bleiben.

Binaurale Beats & Solfeggio-Frequenzen


Während Neurofeedback das Gehirn aktiv trainiert, arbeiten Binaurale Beats von außen. Wenn wir über Kopfhörer zwei leicht unterschiedliche Töne hören, erzeugt das Gehirn eine „dritte Frequenz“ und gleicht sich diesem Rhythmus an. So können wir uns gezielt in entspanntere Zustände bringen, etwa mit Theta-Beats für tiefe Ruhe oder Delta-Beats für besseren Schlaf.

Die Solfeggio-Frequenzen gehen noch einen Schritt weiter. Sie sind bestimmte Tonlagen, die seit Jahrhunderten genutzt werden, um Körper und Geist zu harmonisieren. Zum Beispiel:

  • 396 Hz – löst Angst und Stress.
  • 432 Hz – bringt Harmonie ins Nervensystem.
  • 528 Hz – fördert Heilung und Regeneration.

Manche spüren die Wirkung sofort, andere kaum, aber es kann ein sanftes Werkzeug sein, das Nervensystem im Alltag zu beruhigen, besonders als Ergänzung zu den anderen Methoden.

Meditation 

Meditation kann ein mächtiges Werkzeug sein, um das Nervensystem zu beruhigen. Viele denken, dass Meditation ausschließlich still im Schneidersitz zu sitzen bedeutet. Das kann für ein überreiztes Nervensystem oft zuerst kaum auszuhalten sein. In Stille kommen aufgestaute Gefühle hoch und das kann sich bedrohlich anfühlen. Bei Meditation geht es aber darum, bewusst ins Hier und Jetzt zu kommen. Geführte Meditationen, Atemmeditation, Dynamische Meditation von Osho oder Walking Meditation können dem Nervensystem Halt geben, die überschüßige Energie “loszuwerden” und helfen, Schritt für Schritt Sicherheit in der Ruhe aufzubauen. Erst wenn das Nervensystem gelernt hat, dass Stille keine Gefahr ist, kann Meditation ihre volle Kraft entfalten. Du kannst aber ebenfalls in den Wald Pilze sammeln gehen, Sport machen, das einen starken Fokus benötigt, tanzen oder dein eigenes “Ding” finden. Ich finde, wir sollten uns nicht zu Sachen zwingen, die sich extrem schwer anfühlen. 

Meine Erfahrung mit dysregulierten Nervensystem

Ich habe bereits 7 Jahre “an mir gearbeitet”, Therapien gemacht und verschiedene Ansätze ausprobiert und dennoch konnte ich kaum eine gravierende Verbesserung bei mir sehen, vor allem in Bezug auf meine BorderlineSymptome. Ich war immer noch depressiv, suizidal und völlig unfähig, mich emotional zu regulieren. Ich dachte, dass dies für immer ein Teil meines Lebens sein wird.

Bis ich 2023 mit Neurofeedback begonnen habe. Das war der wichtigste Schritt auf meinem Weg zur wahren emotionalen Heilung. Und nein, ich bin immer noch nicht vollständig geheilt. Aber seit ich verstanden habe, was es bedeutet, sich mit dem Körper zu verbinden und dass wir mit unserem Körper arbeiten müssen, um wirklich nachhaltige Veränderungen in unserem Leben zu erzielen, hat sich mein Leben verändert.

Ich habe gelernt, dass der Zustand, den ich für normal hielt, nicht normal war.

Ich habe gelernt, dass Stress mir in Wirklichkeit nicht gut tut. 

Neurofeedback hat mir beispielsweise auch gezeigt, dass ich meinen Kiefer ununterbrochen anspannte, ohne, dass es mir bewusst war. Was ein Zeichen für unverarbeiteten Stress, Angst, Perfektionismus, Kontrolle und unterdrückte Emotionen ist. 

Heute bin ich viel achtsamer mit mir selbst. Es sind fast zwei Jahre vergangen und ich fühle mich manchmal immer noch extrem erschöpft (Erschöpfung ist nämlich absolut normal, wenn wir mit unserer Heilungsreise beginnen). Ich merke, wie mich schon ein zu voller Kalender unter Stress setzt. Früher war es für mich normal, von Termin zu Termin zu hetzen, keine Zeit zum Essen zu haben, heute ist das für mich ein absolutes No-Go. Ich plane bewusster, nehme mir mehr Pufferzeit und reduziere Termine, damit ich zwischen Aktivitäten genug Raum habe, um ruhig anzukommen. Selbst wenn Google Maps 15 Minuten Fahrzeit anzeigt, mache ich mich lieber 30 Minuten vorher auf den Weg, einfach um den Stress „Fuck, es ist Stau, ich komme zu spät!“ zu vermeiden.

Ich achte jetzt auch viel bewusster auf meine Atmung. Ich habe erst kürzlich gelernt, dass man nicht in die Brust hineinatmen soll, sondern in den Bauch.

Einatmen= Bauch wird groß.

Ist es nicht schlimm, dass ich 34 Jahre alt werden musste, um zu lernen, wie man richtig atmet, obwohl das das allerwichtigste ist, das wir zum Leben brauchen?! In meinen 20ern habe ich fast ununterbrochen einen eingezogenen Bauch gehabt. Wie sehr habe ich mir damit geschadet!? Jetzt trage ich seit ein paar Jahren lockere T Shirts und Kleider, damit ich endlich atmen kann und nicht das Gefühl haben muss, meinen Bauch einziehen zu müssen. Was für ein krankes Bild uns die Gesellschaft vermittelt hat… 

Früher habe ich das Chaos geliebt, heute liebe ich die Ruhe. Früher habe ich mich sofort nach dem Aufstehen entweder gehetzt, damit ich länger schlafen kann oder gleich zum Handy, Kaffee und Zigarette gegriffen. Heute bevorzuge ich einen langsamen Start in den Tag. Ein Spaziergang, dann Frühstück und erst danach Kaffee und Handy.

„Stille und Stillstand waren unerträglich für mich.“

Ich bin jetzt auch viel feinfühliger mit mir und meiner Umwelt. Ich merke jetzt meistens, wie mich lange Bildschirmzeit und insbesondere Social Media (weshalb ich immer wieder die Apps aus meinem Handy lösche) dysregulieren, dass ich mich dann vollkommen “unrund” fühle. Das habe ich früher absolut nicht gemerkt. Jetzt versuche ich kurz spazieren zu gehen oder zumindest für eine Minute zu springen, atmen oder mich zu schütteln, um diese aufgestaute Energie wieder loszuwerden

Ich nehme auch immer bewusster wahr, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die mir energetisch nicht gut tun. Wenn ich Widerstand fühle oder mich nach einem Treffen erschöpft fühle. Seit ich mehr im Einklang mit meinem Körper bin, spüre ich auch meine Hochsensibilität so viel klarer. Früher war ich so krass von mir selbst getrennt, dass ich absolut nichts gespürt habe- zumindest nicht bewusst. Ich konnte nie ruhig sitzen, Sauna war die reinste Tortur für mich. Stille und Stillstand waren unerträglich für mich. Ich habe es laut, schnell, aufregend und chaotisch geliebt. Einschließlich Beziehungen.

Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. 

Seit ich feinfühliger und mitfühlender mit mir selbst bin und somit mehr in meiner eigenen Kraft, werde ich sogar von toxischen Menschen respektvoll behandelt und werde auch von keinen toxischen Männern angesprochen. Ok, eigentlich werde ich von keinen Männern angesprochen, aber früher fast nur von solchen, weil sie spüren konnten, dass ich ein Opfer bin und mit mir selbst nicht im Reinen bin. Man muss aber auch sagen, dass ich noch ziemlich in meiner Isolationsphase stecke und ich unterbewusst “unsichtbar” bleiben möchte, weil sich das sicherer anfühlt.

Gleichzeitig bin ich heute viel stärker mit meiner Intuition verbunden. Ich höre auf mein Bauchgefühl, anstatt mich nur auf logische Argumente in meinem Kopf zu verlassen. Wenn meine innere Stimme sagt: „Wechsle die Straße“ oder „Dreh um“, dann tue ich das, ohne es zu hinterfragen.

Das Reisen, das ich früher so aufregend fand, laugt mich inzwischen extrem aus. Ständig neue Orte, Unterkünfte, Restaurants, Menschen– all das wirkt auf mich dysregulierend. Mein Körper sehnt sich nach Routine, Stabilität und Sicherheit. Ich konnte noch keine große Resilienz entwickeln. Von totaler Dissoziation, reagiere ich jetzt extrem sensibel auf mein Umfeld. Das Gefühl von Sicherheit ist zu meiner Priorität geworden. Aber wenn mein Körper sich 34 Jahre unsicher und gestresst gefühlt hat, ist es auch kein Wunder, dass sich plötzlich alles so bedrohlich anfühlt. Ich habe es ja erfolgreich die ganzen Jahre geschafft zu unterdrücken :). 

Selbst meine Periode ist für mich zu einer heiligen Zeit geworden (natürlich hat mich dazu meine Adenomyose und die extrem starken Schmerzen getrieben) und ich tue ausschließlich nur das, was sich gut anfühlt. Ich gönne mir Ruhe, auch wenn es bedeuten sollte, dass ich die ganzen 5 Tage nur im Bett liege- vollkommen ohne schlechtes Gewissen

Früher habe ich meine Emotionen erst gemerkt, wenn es bereits zu spät war und ich schon so am Kochen war und kurz vor Explosion stand. Jetzt merke ich meistens, wenn ein “unangenehmesGefühl im Anmarsch ist. Ich halte inne, spüre hinein und untersuche dieses Gefühl, bevor ich reagiere. Auch nicht immer, nur um es klarzustellen. 😉 Wichtig ist, sich auf die Fortschritte zu konzentrieren und nicht darauf, was wir noch nicht können und wo wir noch Verbesserungspotenzial haben.

Wir werden immer ein Verbesserungspotenzial haben!

Eine kleine Dosis Unzufriedenheit ist notwendig, damit wir wachsen können, aber es ist auch wichtig anzuerkennen, wie viel wir bereits geschafft haben. Ich werde es immer und immer wiederholen, bis es alle verinnerlicht haben. Heilung ist nicht linear und es ist kein Ziel. Also es ist nichts, wo man ankommt und dann ist absolut alles perfekt. 

Ich konnte allerdings zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl erleben:

.. jetzt bin ich zufrieden mit mir selbst.

Ein Gefühl von Ausgeglichenheit, aber auch Akzeptanz. Zum ersten Mal konnte ich diesen Selbstoptimierungswahn ablegen. Natürlich kommen immer wieder neue Phasen, mit neuen Themen oder tieferen Themen und mir wird immer wieder klar, dass ich absolut nichts weiss, aber dieses ständige Gefühl von “so wie ich bin, bin ich nicht gut genug” ist weg (ok auch noch nicht zu 100%). Natürlich werde ich weiterhin mit Situationen konfrontiert, wo ich diese leise Stimme in meinem Kopf höre, wo ich diese Unsicherheit in meinem Bauch oder auf der Brust spüre. Aber es ist wieder nur eine Einladung, mitfühlender mit mir zu sein und dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. 

Ich kann heute ruhiger auf Konfrontationen reagieren. Ich nehme Dinge weniger persönlich. Ich bin viel geduldiger, weil ich gelernt habe, viele Situationen so zu akzeptieren, wie sie sind, wenn ich sie selbst nicht verändern kann. Mein Leben fühlt sich nicht mehr wie ein ununterbrochener Kampf an, wo ich mich als Opfer der Umstände fühle. Vielmehr sehe ich, dass ..

..alles für mich geschieht.

Je weniger ich reagiere, kämpfe und versuche zu kontrollieren, desto einfacher fühlt sich das Leben an. Ich kann heute endlich viel mehr mit meiner femininen Energie im Einklang sein. Natürlich verfalle ich manchmal noch in ein Loch, fühle mich einsam oder verloren. Aber auch das nehme ich als vollkommen normal und natürlich und versuche nicht dagegen anzukämpfen. 

Meine Anxiety (die ich vor 2 Jahren entwickelt habe) ist viel besser geworden. Sie tritt zwar noch auf, aber ich kann anders mit ihr umgehen. Ich habe immer noch viel zu lernen, viele Wunden zu heilen, aber mein Leben ist nicht mehr vom Chaos bestimmt, sondern vom Frieden. Ich lerne, mir ein Leben zu schaffen, das mein Nervensystem unterstützt, statt es ständig zu überfordern.

Fazit

Wir sind nicht kaputt. Unser Nervensystem wollte uns nur beschützen und dafür können wir ihm jetzt dankbar sein. 

Wie Bessel van der Kolk sagt: „Das Trauma sitzt im Körper.“ Doch genauso sitzt dort auch die Heilung. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, Schicht für Schicht können wir die Vergangenheit endlich loslassen, neu schreiben und das Leben kreieren, das wir wollen. 

Wir müssen nicht mehr ums Überleben kämpfen.

So wie die Nervensystem Dysregulation nicht über Nacht entstanden ist, braucht Heilung auch ihre Zeit. Rückschläge sind kein Scheitern, sondern ein Teil des Prozesses, durch den wir nach und nach Vertrauen in uns selbst und in die Welt zurückgewinnen können. Sie laden uns ein, mitfühlender, geduldiger und liebevoller mit uns selbst umzugehen. Es geht nicht um Perfektion. Es geht darum, unsere Imperfektion zu akzeptieren, denn wir sind schließlich Menschen und keine Maschinen. Unsere Fehler und unsere Emotionen machen uns gerade menschlich

Behandle dein Nervensystem wie deine beste Freundin – mit Respekt, Wärme und Vertrauen.

 

Ein kleiner Beitrag – große Wirkung

Alles, was hier fließt, ist Teil eines größeren Ganzen. Durch deine Stimme, dein Kommentar, durch das Teilen dieses Beitrags oder durch eine kleine Spende (PayPal-Spende/ Revolut), wird Energie in Bewegung gesetzt. Gemeinsam gestalten wir etwas, das größer ist, als wir selbst und uns alle miteinander verbindet.

Wenn du spürst, dass du auf deiner Reise Unterstützung brauchst, kannst du dir gern einen Online-Call buchen. Ich begleite dich von Herzen auf deinem Weg.

Rechtlicher Hinweis (Disclaimer)

Alle Inhalte auf dieser Website, einschließlich Texte, Bilder und Video- und Audioaufnahmen, unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung weder kopiert, vervielfältigt noch anderweitig verwendet werden. Verstöße werden rechtlich verfolgt.

Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich meine persönlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Einstellungen wider. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit. Die Inhalte ersetzen keine medizinische oder psychotherapeutische Beratung, Diagnose oder Behandlung. Sie dienen ausschließlich der Wissensvermittlung und persönlichen Weiterentwicklung.

Bitte konsultiere bei psychischen oder körperlichen Beschwerden immer einen qualifizierten Therapeut*in oder Arzt/Ärztin. Die Anwendung der Inhalte erfolgt auf eigene Verantwortung.

Hinweis: Die auf diesem Blog verwendeten Begriffe wie „heilen“, „Heilung“ oder ähnliche Formulierungen dienen ausschließlich der sprachlichen Vereinfachung, besseren Auffindbarkeit (z. B. Suchmaschinen) und dem allgemeinen Verständnis. Mit „heilen“ ist ein persönlicher Erfahrungs- und Wachstumsprozess gemeint, nicht ein medizinisches Heilversprechen im rechtlichen oder medizinischen Sinn.

Facebook
X
Threads
WhatsApp

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: Content is protected !!
Nach oben scrollen