Was ist Prokrastination?
Prokrastination – auf deutsch auch als Aufschieberitis bekannt, beschreibt das systematische Aufschieben von Aufgaben, obwohl wir sie eigentlich erledigen möchten. Wir fühlen uns schlecht, weil wir wissen, dass es uns besser ginge, wenn wir die Aufgabe einfach angehen würden. Anders als Faulheit bedeutet Prokrastination nicht, dass wir grundsätzlich keine Lust haben. Vielmehr steckt oft ein Mix aus Stress, Angst, Perfektionismus und Überforderung dahinter.
Prokrastination ist häufig eine Schutzstrategie – besonders bei Angst, Perfektionismus oder Trauma.
Sie kann auch einfach aus schlechten Gewohnheiten, mangelnder Klarheit oder fehlender Motivation entstehen.
Menschen, die prokrastinieren, wollen also in der Regel etwas erreichen. Doch innere Blockaden halten sie davon ab, loszulegen.
Warum prokrastinieren wir?
Die Gründe für Prokrastination sind vielschichtig. Häufige Ursachen für Aufschieberitis sind:
- Perfektionismus: Lieber gar nicht anfangen, als etwas „unperfekt“ zu machen.
- Angst vor dem Versagen: Angst, nicht gut genug zu sein. Prokrastination fungiert als eine Schutzstrategie. Denn “wenn ich nie fertig werde, kann niemand sagen, dass es scheiße ist.”
- Angst vor dem Erfolg: Erfolg bedeutet oft mehr Verantwortung, mehr Erwartungen, vielleicht auch mehr Sichtbarkeit, was sich für unser Nervensystem bedrohlich anfühlen kann.
- Unklare Ziele oder fehlende Sinnhaftigkeit : Wenn das „Warum“ fehlt oder nicht stark genug ist, fehlt uns die nötige Motivation.
- Sofortige Belohnung vs. langfristiger Erfolg: Social Media, Netflix oder Snacks geben sofort Dopamin, große Ziele nicht (zumindest nicht sofort).
- Stressreaktion: Das Nervensystem reagiert mit Freeze Response.
- Dysreguliertes Nervensystem: Stress, Trauma oder ständige Überforderung lassen das Nervensystem in Freeze (Erstarrung) gehen → das Handeln wird blockiert.
- Überforderung: Wenn die Aufgabe zu groß, zu unklar oder unlösbar wirkt und unser Gehirn keinen Startpunkt erkennen kann, schieben wir die Aufgabe vor sich her.
Prokrastination und das Nervensystem
Neurowissenschaftlich betrachtet ist Prokrastination weniger eine „Charakterschwäche“ als eine Stressreaktion. Die eigentliche Botschaft des Nervensystems lautet: „Ich fühle mich nicht sicher.“ Das Nervensystem reagiert bei Bedrohung mit „Fight, Flight, Freeze“ Zuständen. Wenn wir prokrastinieren, befinden wir uns meistens im Freeze-Modus. Die Aufgabe löst Angst oder Druck in uns aus und unser Nervensystem reagiert darauf mit Erstarrung. Statt aktiv zu werden, greifen wir zu Ersatzhandlungen wie Social Media oder Serien, denn das gibt uns kurzfristig einen Dopamin Boost. Dopamin ist der Botenstoff, der uns Motivation und Belohnung vermittelt. Da eine unangenehme Aufgabe kaum Dopamin ausschüttet, greifen wir bei Prokrastination lieber zu schnellen Quellen, wodurch sich unser Stress durch Schuldgefühle am Ende allerdings verschlechtert.
Trauma und Prokrastination
Bei traumatisierten Menschen tritt Prokrastination besonders häufig auf.
Einer der häufigsten Gründe dafür ist die kindliche Prägung. Wenn wir in unsicheren Verhältnissen aufgewachsen sind, lernen wir, dass das Zukunftsversprechen unzuverlässig sind (delayed gratification). Sofortige Befriedigung wie Essen, Social Media, Netflix, Party, Alkohol, Drogen, Zigaretten (instant gratification) erscheint sicherer als langfristige Ziele.
Chronischer Stress, der durch das Trauma entstanden ist, hält unser Nervensystem im Überlebensmodus und dadurch wird ein proaktives Handeln erschwert.
Gefühl der Wertlosigkeit: Limitierende Glaubenssätze wie „Ich bin nicht gut genug“ oder „Ich schaffe das sowieso nicht“ führen zur Vermeidung und damit zum Aufschieben.
Zu den häufigsten Gründen, über die, die wenigsten sprechen, insbesondere wenn es um das Thema Sichtbarkeit geht, ist die unbewusste Wahrnehmung von Gefahr, Bedrohung und das Bedürfnis nach Sicherheit. Wenn wir in der Vergangenheit, beispielsweise Mobbing oder Missbrauch erfahren haben, können wir unter starker Angst leiden. Allein schon ein Video auf Tiktok hochzuladen, anfangen unser Buch zu schreiben oder ein Business zu starten. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit kann sich in der Angst gesehen zu werden manifestieren. Insbesondere bei Frauen geht die Angst gesehen zu werden, noch tiefer als die Erfahrungen, die wir im Leben gemacht haben (zum Beispiel Hexenverbrennungen). Es kann sich um eine Angst vor Gefahr handeln, die Frauen in Jahrhunderten von der Menschheitsgeschichte erfahren haben, wenn sie “gesehen” wurden.
Menschen, die Trauma erfahren haben, sind meistens auch die größten “Overachiever” und die größten Perfektionisten. Viele definieren ihren eigenen Wert durch Leistung. Wenn sie daher nichts leisten, sich unproduktiv fühlen, fühlen sie sich wertlos und schuldig.
Trauma-bedingte Prokrastination ist also kein „Mangel an Disziplin“, sondern ein erlernter Schutzmechanismus (coping strategie).
Prokrastination in der Kreativität oder Studium
Gerade Kreative kennen die Aufschieberitis nur zu gut. Wenn wir kreativ sein wollen, benötigen wir dafür den geeigneten Raum, aus dem wir erschaffen können. Oft hoffen wir, dass uns eine Muse “küsst”. Dabei kann es in Wirklichkeit Prokrastination sein, die uns in Wirklichkeit blockiert. Es ist einfacher, eine manuelle Arbeit auszuführen oder eine Tätigkeit, die nicht viel nachdenken oder fühlen benötigt. Deshalb räumen wir lieber unsere Wohnung auf, gehen einkaufen, um uns am Ende ausreden zu können, dass es „heute wieder mal zu spät ist“, anzufangen. Das gleiche gilt beim Lernen. Prokrastinierende Studierende haben meist die saubersten Wohnräume 🙂
Die Gründe hierfür können vielfältig sein und wurden bereits am Anfang des Artikels angeführt. Perfektionismus, fehlende Struktur, emotionale Blockaden wie limitierende Glaubenssätze, zu große Anforderungen oder Erwartungen an das Erdergebniss, Angst vor dem Versagen und doch ist es in den meisten Fällen nur dass wir das Problem haben, dass wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen, weil es zu viel erscheint.
Manche fühlen sich mit Deadlines besonders wohl, weil sie einen inneren Druck erzeugen, endlich ins Tun zu kommen. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir alle Zeiten der Welt haben, ist die Gefahr groß, Sachen aufzuschieben. Insbesondere, wenn wir wissen, dass wir etwas NICHT TUN MÜSSEN und zu unserem Standardspruch wird:
“Eigentlich wollte ich heute….”
Wenn wir zum Beispiel ein Buch oder eine Masterarbeit schreiben wollen, ist die Aufgabe viel zu groß, was unser Nervensystem überfordert. Daher „laufen wir davon weg“, flüchten uns in andere Tätigkeiten, um wieder neue Ausreden parat zu haben, wieso wir heute WIEDER NICHTS getan haben. Wer kennt´s?
Wenn wir uns überwältigt fühlen, ist es wichtig, eine Aufgabe in Mini-Schritte zu zerlegen (Chunking). Es ist wichtig, dass wir kleine Micro Gewinne sammeln können, die uns einen Dopamin Boost geben, damit unsere Motivation steigt.
Es ist auch wichtig uns mit Mitgefühl zu begegnen und nicht zu hohe Anforderungen an uns selbst zu stellen. Wenn wir beschließen, beispielsweise nur an 3 fixen Tagen zu arbeiten/trainieren/zu lernen o.ä., anstatt jeden Tag, ist die Wahrscheinlich größer, dass wir tatsächlich etwas tun, als wenn wir uns wieder zu hohe Ansprüche auferlegen. Denn dann wird es uns wieder zu viel, das uns wieder überfordert und wir nicht konsistent bleiben können.
Prokrastination und psychische Gesundheit
Aufschieberitis steht oft im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie: ADHS (Probleme mit Fokus & Impulssteuerung), Depressionen (Antriebslosigkeit, Selbstwertprobleme), Zwangsstörungen (Aufschieben durch Grübeln und Wiederholen) oder Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS/KPTBS). Trauma im Allgemeinen kann eine bedeutende Rolle spielen, denn wer traumatische Erfahrungen gemacht hat, kennt oft das Gefühl, innerlich blockiert zu sein, in Erstarrung zu gehen oder aus Angst vor möglichen Konsequenzen gar nicht erst loszulegen. Auch bei Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigt sich Prokrastination häufig, zum Beispiel aufgrund der starken emotionalen Schwankungen, Impulsivität oder dem Gefühl, schnell überwältigt zu sein. Bei Autismus wiederum hängen Schwierigkeiten oft mit exekutiven Funktionen, Reizüberflutung oder perfektionistischen Ansprüchen zusammen, die es erschweren, eine Aufgabe überhaupt erst zu beginnen.
Allerdings ist es auch im Zusammenhang mit psychischen Störungen, meiner Ansicht nach, auf die gleichen Ursachen zurückzuführen. Wenn wir von psychischen Erkrankungen betroffen sind, ist unser Nervensystem meistens dysreguliert und unsere Kapazität geringer, als bei Menschen mit einer stabilen Psyche. Daher ist es in vielen Fällen eine Überforderung, die wir mit einer Aufgabe assoziieren. Des Öfteren kommen zusätzlich auch noch limitierende Glaubenssätze oder emotionale Blockaden hinzu, die uns daran hindern, ins Tun zu kommen.
Biologische, emotionale und gesellschaftliche Faktoren
Biologische Faktoren wie Schlafmangel, schlechte Ernährung, Vitamin D Mangel oder ein anderer Vitaminmangel, Bewegungsmangel und Zyklusphasen verstärken unsere Aufschieberitis, da sie unsere Gehirnfunktionen schwächen. Insbesondere Frauen müssen lernen, mehr Mitgefühl für sich selbst zu haben, denn uns steht nicht kontinuierlich die selbe Menge an Energie zur Verfügung, wie den Männern. Wir haben einen 28 Tage Zyklus und Männer einen 24 Stunden Zyklus. Je mehr wir im Einklang mit unserem Zyklus leben, desto “produktiver” können wir sein, ohne uns mit Selbstdisziplin zu „bestrafen“.
Emotionale Faktoren wie Scham, Angst, limitierende Glaubenssätze, psychische Erkrankungen, sowie auch die weiblichen Zyklusphasen sind sehr häufige Ursachen für Prokrastination. Denn wir versuchen nicht die Aufgabe selbst zu vermeiden, sondern die möglichen unangenehmen Gefühle, die wir meist bewusst gar nicht erst wahrnehmen.
Gesellschaftliche Faktoren wie instant gratification (sofortigen Belohnung) wie Social Media, Online-Shopping, Fast Food, Pornographie, Gaming, Alkohol, Drogen usw., schnellebiger Lebensstil, Automatisierung und technologischer Fortschritt, zu große Erwartungen, Social Media Vergleiche, fehlende Erdung, Informationsüberflutung, Always-on-Kultur, Leistungs- und Selbstoptimierungsdruck und zunehmende Isolation von echten menschlichen Interaktionen setzen uns zusätzlich unter Druck und nehmen uns die benötigten Ressourcen, die wir bräuchten, um eine Aufgabe zu starten und im besten Fall auch beenden.
Wie kann man Prokrastination überwinden?
1. Problem benennen
Am Anfang ist es wichtig, das Problem korrekt zu benennen und sich selbst zu fragen:
- Ernähre ich mich ausgewogen?
- Trinke ich genug?
- Habe ich einen erholsamen Schlaf?
- Ist die Aufgabe zu groß?
- Versuche ich Fehler zu vermeiden und alles perfekt zu machen?
- Habe ich Angst, dass ich ausgelacht werde?
- Habe ich Angst, dass ich scheitere?
- Habe ich Angst, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin?
- Könnte das Resultat, wenn ich diese Aufgabe beende mich in Gefahr bringen?
- Kenne ich mein WARUM?
2. Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
Verzeihe dir, wenn du prokrastinierst. Schuldgefühle verstärken das Muster. Je mehr Schuldgefühle wir empfinden, desto mehr versetzt es uns in den “freeze mode” und wir stecken in einem Teufelskreis. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich um ein tieferliegendes Problem handelt, als es uns überhaupt erscheinen mag.
Und manchmal ist wirklich noch nicht die richtige Zeit.
3. Gefühle statt Aufgaben regulieren
Frage dich:
- Wie fühle ich mich gerade wirklich?
- Was stresst mich gerade am meisten?
- Was brauche ich gerade wirklich?
4. Implementiere neue Routinen
Orientiere dich an James Clear’s Prinzipien aus Atomic Habits. Statt dich auf riesige Veränderungen zu stürzen, verankere neue Gewohnheiten in deinem Alltag.
1. Mache es offensichtlich
Prokrastination entsteht oft, weil Aufgaben unsichtbar oder zu abstrakt bleiben.
Beispiel: Lege deine Sportsachen am Abend bereit oder platziere das Buch auf deinen Schreibtisch, damit der nächste Schritt direkt vor deinen Augen liegt.
2. Mache es attraktiv
Verbinde die Aufgabe mit etwas, das dir Freude bereitet.
Beispiel: Höre deinen Lieblingspodcast nur, wenn du beim Aufräumen bist – so entsteht ein positiver Anreiz.
3. Mache es einfach
Reduziere die Hürde so stark wie möglich.
Beispiel: Statt „Ich schreibe heute 10 Seiten“, sage: „Ich öffne mein Dokument und schreibe nur einen Satz.“ Kleine Einstiege senken die Blockade.
4. Mache es befriedigend
Belohne dich sofort nach der Aufgabe, um dein Gehirn zu trainieren.
Beispiel: Nach 30 Minuten fokussiertem Arbeiten machst du dir einen Kaffee oder streckst dich 5 Minuten an der frischen Luft.
5. Baby Steps, Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit
Beginne mit dem allerkleinsten Schritt. Erfolgserlebnisse geben dir zusätzliche Motivation.
Du willst ein Buch schreiben, schreibe erstmal eine Seite, eine Struktur oder überlege dir einen Titel.
Du willst mit deiner Masterarbeit beginnen, erstelle dir zuerst Meilensteine und sobald du sie erstellt hast, zerlegst du sie nochmal in kleinere Schritte, glaube mir, die Aufgabe ist immer noch zu groß, um anzufangen. 🙂
Du willst einen großen Frühjahrsputz machen? Schreibe dir erstmal eine To Do Liste auf, was du alles machen möchtest und starte mit der Aufgabe, die sich am leichtesten anfühlt. Wenn diese erledigt ist, bekommst du den benötigten Kick, weiterzumachen.
Du willst wieder mit dem Sport anfangen? Statt gleich eine Stunde ins Fitnessstudio zu gehen, zieh dir einfach nur deine Sportsachen an und mach eine 5 Minuten Dehnübungen. Schon dieser Mini-Erfolg senkt die Hürde für den nächsten Schritt. Nehme dir nicht zu viel vor, nehme dir so viel vor, dass dir das Gefühl gibt es auch wirklich durchzuziehen. Wenn es 5 Minuten einmal in der Woche sind, sind es 5 Minuten mehr Sport in der Woche als bisher.
Jeder Erfolg zählt, egal wie klein er sein mag. Wenn wir allerdings beschließen, von 0 auf 100 zu gehen, können wir nicht durchziehen. Ein perfektes Beispiel dafür, ist das Gym nach Neujahr. Das Gym ist gegen den 14.1. bereits wieder im selben Zustand wie zuvor. Du wirst nicht plötzlich 7 Tage die Woche 1 Stunde trainieren. Egal wie dein Plan aussehen mag, alles ist besser als nichts und bringt dich weiter, wenn du es konsistent durchziehen kannst, als wenn du nach 2 Wochen bereits aufgibst.
Das gleiche Prinzip funktioniert beim Essen, Meditieren usw. Meditiere lieber 1 Minute täglich, als 1 Stunde täglich, wo du nach 3 Tagen aufgibst. Lasse den Zucker lieber erstmal beim Kaffee aus, als komplett den gesamten Zucker zu streichen. Wenn wir eine neue Routine bereits etabliert haben, können wir uns immer noch steigern.
Du willst ein eigenes Business starten? Ein eigenes Business zu starten, ist überwältigend, insbesondere, wenn man noch keine Erfahrung hat, kein Wissen, keine Hilfe. Nicht nur ist die Aufgabe überwältigend, aber insbesondere bei sowas tragen die meisten von uns viele “negative” Glaubenssätze und emotionale Blockaden, in uns, die uns blockieren und in die Selbstsabotage treiben. In diesem Fall würde ich wieder mit einer To Do Liste anfangen und Meilensteine erstellen, die in winzigsten Schritte einteilen und mit dem leichtesten Schritt anfangen, um wieder Belohnung zu erhalten. Wenn wir merken, dass wir allerdings trotzdem immer wieder ins Stocken kommen und prokrastinieren, ist unser WARUM eventuell nicht stark genug und/oder müssen wir uns an die innere Arbeit machen und mit unseren limitierenden Glaubenssätzen und emotionalen Blockaden arbeiten. Beachte, dass dies ein “aufwändiger und langwieriger” Job sein kann und denke daran, dass Affirmationen dich davon nicht befreien werden. Du musst mit deinem Nervensystem arbeiten, um es wirklich aufzulösen.
6. Eigenen Stil finden
Oft rutschen wir in die Prokrastination ab, weil wir unterschiedliche Ansätze zum Arbeiten benötigen, als andere Menschen.
Ich habe beispielsweise herausgefunden, dass ich zu Hause nicht schreiben kann, ich muss quasi “in die Arbeit” gehen, am besten in ein Cafe. Das hängt vermutlich mit meinem Human Design zusammen (hier kannst du dir dein Human Design Chart auswerten lassen).
Ich arbeite gerne ohne Unterbrechung, dass ich mich vollkommen auf eine Tätigkeit für einen längeren Zeitraum konzentrieren kann. Ich kann nicht einen vollgestopften Kalender mit verschiedenen Tätigkeiten haben, wo ich unterschiedliche Sachen an einem Tag mache. Ich bevorzuge es, einen vollen freien Tag oder zumindest halben Tag zur Verfügung zu haben, um ohne Druck arbeiten zu können. Denn bei mir ist das Anfangen meistens die größte Hürde. Sobald ich die Einstiegshürde überwunden habe, dann kann ich stundenlang arbeiten. Aus diesem Grund, will ich die Zeit dann auch tatsächlich zur Verfügung haben. Wenn ich weiss, dass ich in 3 Stunden ein Arzttermin habe, werde ich meine Zeit wieder nur irgendwie „verschwenden„. Thank you, neurodivergence 😉
Manche Menschen wiederum schwören auf die Pomodoro-Technik. Wo eine lange, überwältigende Aufgaben in überschaubare Zeitblöcke zerlegt wird. Statt stundenlang konzentriert arbeiten zu „müssen“, stellst du dir einfach einen Timer auf 25 Minuten, arbeitest fokussiert und gönnst dir danach 5 Minuten Pause. Diese klare Struktur senkt die Einstiegshürde enorm, weil du nicht das Gefühl hast, einen riesigen Berg erklimmen zu müssen. Gleichzeitig trainierst du dein Gehirn, Aufgaben in machbaren Intervallen zu bewältigen, was dich langfristig produktiver und entspannter macht.
Auch das Pareto-Prinzip kann helfen, Prokrastination zu überwinden. Das Pareto Prinzip besagt, dass 20 % des Einsatzes 80 % des Ergebnisses bringen kann. Frag dich stattdessen: Welche 20 % der Aufgaben bringen mir die größte Wirkung? Wenn du dich auf diese Schlüsselaufgaben konzentrierst, reduzierst du automatisch unnötigen Perfektionismus, gewinnst schnell sichtbare Ergebnisse und bekommst dadurch die Motivation, dranzubleiben.
Meine Erfahrung mit Prokrastination
Als ich noch studiert habe, habe ich extrem stark prokrastiniert. Jedes Semester nahm ich mir vor, diesmal von Anfang an mitzulernern, nur um dann doch erst drei, vier Tage vor der Prüfung den gesamten Stoff in mich reinzuziehen. Und was soll ich sagen, es hat jedes Mal funktioniert. Am Ende dachte ich mir, dass ich wohl irgendwie unbewusst gewusst habe, wie viel Zeit ich wirklich brauche. Unter Druck funktionierte ich damals einfach am besten.
Das eigentliche Problem war aber, dass ich mich über all die Wochen davor fertig gemacht habe. Wir reden hier nicht von Monaten, sondern von Jahren, in denen ich in dem selben Muster gelebt habe!!! Statt zu lernen, habe ich mir permanent gesagt, dass ich eigentlich lernen sollte, tat es allerdings trotzdem nicht. Dieser innere Druck hat mich zermürbt. Ich räumte die Wohnung auf, schaute abends Netflix und wartete fast schon zwanghaft auf den Moment, an dem die Motivation kommen würde. Mein soziales Leben legte ich während der Prüfungszeit immer aufs Eis, weil ich jederzeit damit rechnete, „jetzt“ anfangen zu wollen. Ah, wie ich mich dafür hasste. Der Hauptgrund war, dass mir in Wirklichkeit die Sinnhaftigkeit gefehlt hat. Hinzu kam ein dysreguliertes Nervensystem, von dem ich damals noch nichts wusste (dass ich Borderline, Depressionen, Autismus und PTBS habe, habe ich erst Anfang 30 herausgefunden). Besonders beim Schreiben meiner Bachelor- oder Masterarbeit war die Prokrastination extrem präsent. Die Aufgabe war schlicht zu groß und zu überwältigend. Ich sah das Endresultat vor mir, aber nicht die einzelnen Schritte dorthin. Wissenschaftliches Arbeiten finde ich ohnehin frustrierend, denn man verbringt Ewigkeiten mit Recherchen, sieht aber keine sichtbaren Ergebnisse. Der Schreibprozess an sich dauert oft nur wenige Tage. Kein Wunder also, dass ich mich lieber mit Social Media oder Netflix ablenkte, um mich nicht völlig wie ein Versager zu fühlen. Ganz anders als bei manueller Arbeit, wo Ergebnisse sofort sichtbar sind.
Beim Aufräumen habe ich mit der Zeit gelernt, Mitgefühl mit mir selbst zu haben und den inneren Kritiker in meinem Kopf abzuschalten, der mich immer dazu getrieben hat, produktiv zu sein und immer eine tip top saubere Wohnung zu haben. Einer der Gründe, warum ich überhaupt von meiner Mutter auszog, war ja, dass ich es nicht mehr ertragen konnte, jeden Tag aufzuräumen oder ausgerechnet dann, wenn sie es wollte und am besten SOFORT. Und doch habe ich es in meiner eigenen Wohnung viele Jahre nicht genießen können, es auch einfach mal bleiben zu lassen. Die Stimme war immer noch da. Ganz zu schweigen davon, dass ich meinen Selbstwert an Leistung gekoppelt habe. Sprich, wenn ich an einem Tag “nichts” geleistet habe, fühlte ich mich wertlos. Ich habe lange gebraucht, um die Zeit, wenn ich nichts tue und mich entspannen möchte, auch wirklich genießen zu können. Ich merkte außerdem, dass es besser ist, auf den “richtigen” Moment zu warten. Wenn ich mich zwang, aufzuräumen oder zu bügeln, obwohl ich dafür absolut keine Energie hatte, kostete es mich doppelt so viel Kraft und dauerte doppelt so lange. Wenn ich mich aber entspannte, war ich am nächsten Tag voller Energie und erledigte alles im Handumdrehen. Wie die Mutter meiner damaligen besten Freundin zu sagen pflegte:
„Work’s no dick, it can stand for days.“
Die schlimmste Form der Prokrastination erlebte ich allerdings, als ich mein eigenes Business aufbauen wollte. Anfangs war es ein echtes Herzensprojekt, doch je mehr ich mich in Strategien und Logik verstrickte, desto mehr schwand meine Motivation. Alles fühlte sich verkopft und schwer an: Wie sollte ich es tun, statt: Was möchte ich tun, das sich gut anfühlt? Ich rutschte wieder komplett in meine männliche Energie ab, was mich komplett ausgesaugt und zusätzlich extrem überwältigt hat. Hinzu kam auch noch mein Perfektionismus und die Tatsache, dass ich Social Media einfach hasse. Monatelang drehte ich mich im Kreis mit all den Strategien, wie man Social Media „richtig“ macht, anstatt einfach aus dem Herzen zu kreieren. Als ich meinen Fokus nur noch auf den Blog legen wollte, fühle sich das Projekt extrem überwältigend an, insbesondere, weil ich alles alleine und perfekt umsetzen wollte.
„Ich lebte schon in der Version, wo absolut alles fertig war, aber der Weg dorthin hat mich absolut gelähmt.“
Als ich endlich beschlossen habe, den technischen Aufbau meiner Seite outzusourcen, ging es nur noch ums Schreiben. Ich habe monatelang prokrastiniert. Auch wenn ich schon viele Artikel erstellt habe und Hunderte von Notizen, lies ich sie in meinem OneNote uneditiert stehen. Ich wusste nicht, was mich zurückhält. Ich war die ganze Zeit davon überzeugt, es wäre nur die Angst gesehen zu werden, an der ich monatelang gearbeitet habe. Dennoch konnte ich mich nicht dazu überwinden, es endlich fertigzustellen. Anfangs hatte ich genug Ersparnisse, weshalb der Druck nicht groß genug war. Erst als das Geld plötzlich kaum noch vorhanden war, wusste ich, dass es an der Zeit war, ins Tun zu kommen. Aber die Blockade war immer noch da.
Schließlich erkannte ich, dass es doch auch die Angst vor dem Versagen wäre. Denn an diesen Blog habe ich mein ganzes Traumleben geknüpft. Er sollte mein Weg in die Freiheit sein – ortsunabhängig und finanziell unabhängig.
„Wenn der Blog scheitert, scheitert mein Traum.“
Ein gigantischer Druck. Zwar redete ich mir ein, ich könnte notfalls immer noch „normal“ arbeiten gehen, aber tief im Inneren war das für mich keine Option. Erst als ich verstand, dass ich mich zu sehr an dem “Wie” festgebissen hatte, löste sich etwas. Mein eigentliches Ziel war Unabhängigkeit und die kann auf tausenden anderen Wegen entstehen, nicht nur über einen Blog. In dem Moment, in dem ich diese Fixierung losließ, bekam das Projekt wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Erkenntnisse teilen, Menschen helfen, meine Gedanken in die Welt tragen. Selbst wenn ihn kaum jemand liest, ist es in Ordnung. Dann ist er immer noch mein Medium, ein Ausdrucksmittel, das mir eine Stimme verleiht und etwas, das bleibt, auch wenn ich eines Tages nicht mehr hier bin.
Die wichtigste Lektion, die ich dabei gelernt habe, war, dass Prokrastination immer nur ein Signal war. Ein Signal für zu viel Druck, fehlende Sinnhaftigkeit, zu große und somit überwältige Aufgaben, zu hohe Erwartungen an mich selbst und den falschen Fokus. Außerdem war es eine Einladung, mitfühlender mit mir zu sein. Erst als ich das erkannt habe, konnte ich wirklich loslegen.
Mel Robbins bringt es auf den Punkt:
„Procrastination is not about productivity – it’s about how to feel good enough.“
Fazit: Prokrastination verstehen und liebevoll überwinden
Prokrastination ist kein Zeichen von Faulheit, sondern ein komplexes Zusammenspiel von Stress, Nervensystem, Trauma und gesellschaftlicher Konditionierung.
Der Ausweg liegt in kleinen Schritten, Selbstmitgefühl und dem Mut, sich nicht vom großen Berg überwältigen zu lassen. Jede kleine Tat, sei es ein Absatz schreiben, eine Schublade aufräumen oder ein Spaziergang am Strand, ist ein Sieg gegen Aufschieberitis und ein Akt der Selbstheilung und Selbstliebe.
Wir sollten auch nur die kleinsten positiven Veränderungen in unserem Leben nicht unterschätzen.
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